Pflanzen auf Moränen

Auf dieser Seite soll das aktuelle Projekt zur weiteren Erforschung der Vegetationsdynamik auf den Moränenflächen des Grossen Aletschgletschers vorgestellt werden.
 
 

Einführung in die vegetationsdynamische Forschung

Für die unter Ihnen, die mehr über die allgemeinen Grundlagen und Methoden der vegetationsdynamischen Forschung erfahren wollen, habe ich einen einführenden Text zusammengestellt. Dort finden sich auch wichtige Literaturverweise auf geobotanische Lehrbücher, die dieses Thema ausführlich behandeln.
 
 

Posterbeitrag für die Tagung AK Hochgebirgsökologie

Der Posterbeitrag für die diesjährige Tagung des Arbeitskreises für Hochgebirgsökologie in Bern im Juni 1999 zum Thema findet sich hier in einer virtuellen Umsetzung. Durch Schließen des neuen Fensters gelangen Sie wieder zurück auf diese Seite. Für die nicht vollkommen weboptimierten Bilder bitte ich um Verständnis.
 
 


Kurzcharakterisierung des Forschungsprojektes

Vegetationsdynamik auf den Moränenflächen des Grossen Aletschgletschers

Der Grosse Aletschgletscher (Wallis, Schweiz) zieht sich seit dem letzten Höchststand (»Kleine Eiszeit«) um 1859/60 herum kontinuierlich zurück. Er hinterlässt dabei grosse Mengen Schutt und Geröll in Form seitlicher Moränen. Auf diesen laufen pflanzliche Wiederbesiedlungsprozesse durch Gesellschaften aus Pionierpflanzen ab, die seit 55 Jahren Gegenstand vegetationsdynamischer Untersuchungen sind.

Bisheriger Umfang der Untersuchungen

Zwischen 1944 und 1949 wurden durch Dr. Werner Lüdi in den Moränenflächen 12 Dauerbeobachtungsflächen mit Flächengrössen zwischen einem und 800 Quadratmetern angelegt und pflanzensoziologisch aufgenommen. In den Grossflächen zählte Lüdi ausserdem, nach Arten und Höhenklassen getrennt, sämtliche Baumindividuen. Lüdis Forschungen wurden weitergeführt und ergänzt durch Prof. Jean-Louis Richard, der zwischen 1971 und 1978 eine Reihe zusätzlicher Dauerbeobachtungsflächen einrichtete. Unter seiner Regie wurden 1971 und 1981 die meisten Flächen neu aufgenommen, 1971 wurden die Gehölzzählungen wiederholt.

Aktuell durchgeführte Untersuchungen

Im Sommer und Herbst 1998 wurden alle bekannten Dauerflächen gesucht, und -wo notwendig- neu markiert. Zwei Flächen waren vollständig verlorengegangen, drei konnten rekonstruiert werden, alle übrigen waren gut auffindbar. Die Flächen wurden erneut pflanzensoziologisch aufgenommen, wobei neben der Artmächtigkeit und Soziabilität für die Gehölze auch Angaben zur Vitalität (Verbiss, Feg- oder Schlagschäden, Krankheiten etc.) festgehalten wurden. Auch wurden die Gehölzzählungen auf allen Flächen erneut durchgeführt. Zusätzlich zu den bestehenden Flächen wurden in den inzwischen vom Gletscher freigegebenen jüngsten Flächen weitere Dauerflächen eingerichtet.

Erste aktuelle Ergebnisse

Erste Ergebnisse der Gehölzzählungen zeigen, dass die Lärche ihre dominante Präsenz in den ältesten Flächen zwar wiederum ausbauen konnte, die Zunahme an Zahl und Höhe zwischen 1971 und 1998 blieb aber weit hinter der zwischen 1944 und 1971 zurück. Da die Baumschicht sich langsam schliesst, macht sich vermutlich Lichtkonkurrenz zwischen den Individuen bemerkbar. So ist auch die Verjüngung von Lärche und Fichte sehr gering, hingegen konnte die Arve in der Kraut- und Strauchschicht Jungwuchs in grosser Zahl erfolgreich etablieren. Die Birke hingegen zeigt einen massiven Rückzug aus dem Pionier- und Übergangswald.

Einen nicht unerheblichen Einfluß auf die Sukzession hat der unnatürlich hohe Rotwildbestand, der vor allem die Arve durch Feg- und Schlagschäden beeinträchtigt, und so den Übergang von dem lärchendominierten Übergangswald zu einem Lärchen-Arvenwald mit Dominanz der Arve deutlich verzögern könnte. Auch in der Strauchschicht zeigen sich wildbedingte Veränderungen. Die Artmächtigkeiten der meisten Weiden haben zugunsten der Schweizer Weide abgenommen.

Bedeutung der Vegetationsdynamik für den Naturschutz

Die Vegetationsdynamik befaßt sich mit den langfristigen dynamischen Prozessen in der Vegetation, sie beschreibt also Veränderungen entlang gerichteter Gradienten wie zum Beispiel im Falle von Sukzessionen oder entlang ungerichteter Faktorenveränderungen (Fluktuationen).

Die Stabilität von Ökosystemen liegt oft in ihrer Fähigkeit zu dynamischer Anpassung an Umweltfaktoren begründet. Daher ist es von entscheidender Bedeutung, diese Prozesse zu kennen, und in beschränktem Maße auch vorhersagen zu können. Der auf permanenten Eingriffen beruhende konservierenden Naturschutz im Sinne des klassischen Museums-Ansatzes hat in den letzten Jahrzehnten seine weitgehende Erfolglosigkeit unter Beweis gestellt. Es ist dringend notwendig, stattdessen den Prozeßschutz im Naturschutzmanagement in den Vordergrund zu rücken, denn nur wenn komplexe Naturvorgänge ungehindert ablaufen können, werden auch Sekundärziele wie Artenschutz oder Biotopschutz wirklich erreicht.

Dynamische Naturschutzgebiete sind artenreicher als stationäre, deren Zustand unter permanenten Eingriffen aufrecht erhalten wird, denn die zahlreichen Übergangszustände bieten vielen Arten Nischen an, die sonst nicht bestehen. So ist auch die Artenvielfalt in den Moränenflächen des Gletschers in den Übergangsphasen rund 80 Jahre nach Eisfreiwerden am größten, wohingegen in den jüngeren Flächen nur wenige Pionierarten wachsen, in den älteren Flächen dagegen Gehölze durch Beschattung das Überleben zahlreicher krautiger Arten verhindern. Entsprechend dem Prozeßschutzgedanken sind im Totalreservat Aletschwald dynamische Grenzen verwirklicht, die durch Prozesse und nicht durch kartographische Linien definiert sind. Die Reservatsgrenze ist zugleich der Gletscherrand, auf diese Wesie wächst das Reservat nicht nur jährlich um einige Quadratmeter, sondern es ist auch gewährleistet, daß stets alle zugleich stattfindenden Prozesse der Vegetationsdynamik auf den Moränenflächen parallel geschützt werden.

Kontakt zum Autor

Silvan Rehberger Kontaktadresse

 

Fotos aus dem Moränengebiet



Bild der Dauerfläche MD 1, Aufnahme nach Lüdi (1945)


Bild der Dauerfläche MD 1, Aufnahme 1998  


Steinbrech Saxifraga aizoides, früher Pionier


Weidenröschen Epilobium fleischeri, früher Pionier   


Die ersten Gehölze tauchen auf: Eine kleine Birke

 

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© by Silvan Rehberger · youngbrain: GmbH ·- Zuletzt aktualisiert am 29. Mai 1999